Angesichts der Tatsache, dass zurzeit die große Mehrheit der Generalversammlungen gemäß den Anforderungen von Art. 699 Abs. 2 OR abgehalten werden, stellt sich die Frage der traditionellen Entlastung (oder Nichtentlastung) der Mitglieder des Verwaltungsrats.
Tatsächlich hat die Generalversammlung gemäss Art. 698 Abs. 2 Ziff. 7 OR das unübertragbare Recht, den Mitgliedern des Verwaltungsrats Entlastung zu erteilen.
(1) Wie lautet die Definition der Entlastung, (2) welche konkreten Wirkungen hat eine Entlastung und (3) kann sie auch teilweise erteilt werden? In diesem Artikel versuche ich, diese drei Fragen zu beantworten, wobei ich mich auf das Beispiel der Aktiengesellschaft konzentriere, ohne jegliche Ansprüche auf Vollständigkeit zu erheben.
Die Entlastung ist ein Beschluss der Generalversammlung, durch den die Aktionäre auf die Erhebung von Haftungsklagen gegen die Organe der Gesellschaft verzichten. Sie hat daher zur Folge, dass mögliche Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Personen oder Organe, denen die Entlastung erteilt wurde, erlöschen.
Im Gegensatz zum Wortlaut von Art. 698 Abs. 2 Ziff. 7 OR kann die Entlastung nicht nur den Mitgliedern des Verwaltungsrats, sondern auch den Direktoren sowie den anderen Organen der Gesellschaft erteilt werden.
Es sollte klargestellt werden, dass sich die Entlastung nur auf denjenigen Schaden bezieht, der der Gesellschaft zugefügt wurde, und nicht auf den Schaden, der den Aktionären direkt zugefügt wurde. Gemäss Art. 758 Abs. 1 OR verlieren die Aktionäre, die der Entlastung zugestimmt haben, ab dem Zeitpunkt der Beschlussfassung ihr Recht, gegen die Gesellschaft zu klagen. Aus diesem Grund wird die Entlastung oft als negative Schuldanerkennung bezeichnet.
Die Entlastung wird in der Regel im Rahmen der ordentlichen Generalversammlung erteilt, kann aber auch im Zuge einer außerordentlichen Generalversammlung oder Universalversammlung erfolgen. In der Praxis wird diese Entlastung von den Aktionären in der Regel dem gesamten Verwaltungsrat gemeinsam erteilt. Es ist jedoch angebracht, die Verwaltungsratsmitglieder, denen die Entlastung erteilt wird, im Protokoll der Generalversammlung einzeln zu benennen.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass Personen, welche direkt oder indirekt in Angelegenheiten involviert waren, über die im Rahmen des Entlastungsverfahrens abgestimmt wird, nicht über die Entlastung abstimmen dürfen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Entastungsentscheid anfechtbar ist. Insbesondere wenn die Teilnahme der einschlägigen Personen an der Abstimmung das Abstimmungsergebnis beeinflusst hat. Schliesslich sind auch alle Formvorschriften für die Einberufung sowie Durchführung der Generalversammlung zu beachten.
In der Praxis hat die Entlastung nur eine begrenzte Reichweite, da sie nur Rechte gegenüber der Gesellschaft sowie den indirekt geschädigten Aktionären entfaltet. Somit behalten die externen Gläubiger der Gesellschaft und die direkt geschädigten Aktionäre ihr Recht, gegen die Gesellschaft rechtlich vorzugehen. Letztendlich entfaltet die Entlastung keine externe Wirkung.
Schließlich gilt darauf hinzuweisen, dass sich die Entlastung nur auf „bekanntgegebene Tatsachen“ gemäß Art. 758 Abs. 1 OR bezieht. Die Entlastung bezieht sich hiermit nur auf Tatsachen, die der Generalversammlung in klarer und vollständiger Weise zur Kenntnis gebracht wurden, sowie auf Tatsachen, die allgemein bekannt sind.
Folglich gilt zu beachten, dass eine Entlastung den Vorstand nicht von jeglicher Verantwortung befreit. Im Falle einer Generalentlastung ist es zudem oft schwierig zu beurteilen, welche Tatsachen die Entlastung konkret abdeckt.
Es besteht für die Generalversammlung die Möglichkeit, die Entlastung auf einen bestimmten Zeitraum zu beschränken. Die Generalversammlung kann auch eine Teilentlastung gewähren, indem sie bestimmter Ereignisse oder Geschäftsvorfälle von der Entlastung ausdrücklich ausschließt. Umgekehrt kann die Entlastung auch nur für bestimmte Ereignisse oder spezifische Vorfälle erteilt werden.
Ein Beispiel dafür stellt die Generalversammlung des Jahres 2019 der Schweizerischen Post AG dar. Der Bund erteilte dem Verwaltungsrat der Post für das Geschäftsjahr 2018 auf der Grundlage von Art. 698 Abs. 2 Ziff. 7 OR eine Teilentlastung, wobei jegliche Sachverhalte ausgeschlossen wurden, die im Zusammenhang mit mutmasslichen Unregelmäßigkeiten in der PostAuto-Affäre standen. Der Bund als Aktionär hatte sich nämlich explizit das Recht vorbehalten, je nach Ergebnis der strafrechtlichen Untersuchung im Zusammenhang mit dieser Affäre Verantwortlichkeitsklagen zu erheben.
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