Wer entscheidet im Falle einer freiwilligen Liquidation der Gesellschaft? Der Liquidator oder der Vorstand?

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Die Hauptversammlung der Aktionäre einer Aktiengesellschaft kann beschließen, die Gesellschaft durch ihre freiwillige Liquidation außerhalb des Konkurses zu beenden.  Dieser Beschluss muss öffentlich beurkundet werden (736 OR). Er liegt in der alleinigen Zuständigkeit der Hauptversammlung (736 OR) und erfordert mindestens eine Zweidrittelmehrheit der den vertretenen Aktien zugewiesenen Stimmen und die Mehrheit der Werte der vertretenen Aktien (704 OR).


Aber wer macht was im Falle einer freiwilligen Liquidation der Aktiengesellschaft?


Das Obligationenrecht ist zu diesem Thema nicht sehr dissertationsfreudig. Nur die folgenden beiden Bestimmungen befassen sich mit dieser Frage:


Artikel 739 OR. Diese Bestimmung besagt: „Solange die Verteilung unter den Aktionären nicht abgeschlossen ist, behält die in Liquidation befindliche Gesellschaft ihre Persönlichkeit und behält ihren Firmennamen, dem die Worte „in Liquidation“ hinzugefügt werden. Während der Liquidation sind die Befugnisse der Gesellschaftsorgane auf die Handlungen beschränkt, die für diesen Vorgang notwendig sind und die ihrer Natur nach nicht in den Zuständigkeitsbereich der Liquidatoren fallen“.


Artikel 740 Absatz 1 OR. Dieser Artikel besagt, dass „die Liquidation durch den Verwaltungsrat erfolgt, es sei denn, die Statuten oder die Generalversammlung bestimmen andere Liquidatoren“.


Wenn der Verwaltungsrat die Liquidation allein durchführt, stellt sich die Frage nach seinen Kompetenzen gegenüber einem oder mehreren Liquidatoren nicht.


Werden hingegen Liquidatoren bestellt, bleibt der Vorstand im Amt, und die Frage nach dem Verhältnis und den Vorrechten des oder der Liquidatoren gegenüber dem Vorstand kann relativ komplex sein.


Unserer Meinung nach sollten in diesem Rahmen folgende Prinzipien beachtet werden:


1.         Status der Gesellschaft während ihrer Liquidation und Verteilung der Zuständigkeiten :


1.1            Allgemeines :


Da die Liquidatoren von der Generalversammlung ernannt werden, sind sie im Sinne des oben genannten Art. 739 OR für die Durchführung aller Liquidationsmaßnahmen verantwortlich, wie sie in den Artikeln 739 bis 747 OR beschrieben sind.


1.2.           Der Verwaltungsrat :


Während des Liquidationsverfahrens ist die Macht des Verwaltungsrats gegenüber dem/den Liquidator(en) auf alle anderen Geschäfte der Unternehmensleitung beschränkt, die nicht die Liquidation betreffen. So übt der Verwaltungsrat weiterhin die Oberaufsicht über die Gesellschaft und die Tätigkeit der Liquidatoren aus. Er muss dafür sorgen, dass das Gesetz und die Satzung eingehalten werden, insbesondere von den Liquidatoren. Insbesondere überwacht er die Liquidation und vertritt die Interessen der Gesellschaft gegenüber den Liquidatoren. Der Verwaltungsrat ist jedoch nicht berechtigt, den Liquidatoren in den Bereichen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, Weisungen zu erteilen, kann aber Anweisungen an die Liquidatoren formulieren.


Der Verwaltungsrat bleibt auch dafür zuständig, die Organisation bis hin zur Struktur der Gesellschaft festzulegen. Seine Vertretungsbefugnisse sind jedoch beschränkt. Er kann im Namen der Gesellschaft nur für Aufgaben handeln, die nicht von den Liquidatoren übernommen werden können, d. h. für Aufgaben, die nicht mit der Durchführung der Liquidation der Gesellschaft verbunden sind.


Der Verwaltungsrat bereitet auch die Generalversammlungen vor und führt deren Beschlüsse aus, sofern sie sich nicht auf den Liquidationsprozess selbst beziehen.


Der Verwaltungsrat kann nicht über das Vermögen der Gesellschaft verfügen, diese Kompetenz liegt ausschließlich bei den Liquidatoren. Diese können den Verwaltungsrat ermächtigen, die Gesellschaft in der Liquidationsphase weiterzuführen, oder auch nicht.


1.3.           Die Generalversammlung :


Die Hauptversammlung der Aktionäre bleibt auch während der Liquidation das oberste Organ der Gesellschaft und übt weiterhin die Befugnisse aus, die ihr vom Vorstand übertragen wurden, allerdings mit folgenden Einschränkungen:


  • Die Generalversammlung behält die Befugnis, die Satzung zu ändern und das Stammkapital der Gesellschaft durch Erhöhung oder Herabsetzung zu verändern;
  • Die Hauptversammlung muss keinen Jahresbericht, keinen Jahresabschluss und nicht einmal mehr die Verwendung des Gewinns genehmigen, die in einer Gesellschaft in Liquidation nicht mehr relevant sind;
  • Es wird jedoch empfohlen, dass die Liquidatoren der Hauptversammlung die Bilanz zum Beginn der Liquidation sowie die Zwischenbilanzen zur Genehmigung vorlegen;
  • Auch über die Ausschüttung von Dividenden kann die Versammlung in der Regel nicht entscheiden;
  • Die Generalversammlung erteilt den Mitgliedern des Verwaltungsrats sowie den Liquidatoren Entlastung.


Ein wichtiger Punkt betrifft die Befugnis der Generalversammlung, alle Entscheidungen zu treffen, die durch das Gesetz oder die Statuten ihrer Zuständigkeit vorbehalten sind. So kann die Generalversammlung in Anwendung von Art. 743 Abs. 4 OR beispielsweise den Liquidatoren verbieten, bestimmte Vermögenswerte der Gesellschaft freihändig zu verkaufen.


2.         Schlussfolgerung :


In Anbetracht dessen ist es wichtig, dass der oder die Liquidatoren nicht aus den Augen verlieren, dass ihre Funktion die Vorrechte des Verwaltungsrats und der Hauptversammlung nicht aufhebt, sondern dass diese im Hinblick auf den neuen Gesellschaftszweck der Gesellschaft, nämlich die freiwillige Liquidation der Gesellschaft, neu definiert werden.

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Christophe Wilhelm

Rechtsanwalt