Rechtshilfe und Vereinbarungen zwischen der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten im ersuchenden Staat

Ein aktueller Entscheid des Bundesstrafgerichts zur Rechtshilfe mit Brasilien (im Zusammenhang mit der sogenannten „Lava Jato“-Operation) wirft interessante Fragen zum Verhältnis zwischen dem Rechtshilfeverfahren in der Schweiz, den internationalen Auswirkungen der Rechtshilfe und dem Strafverfahren im ersuchenden Staat auf (Bundesstrafgerichtsentscheid RR.2020.327 vom 22. April 2021).


Die Strafverfahren in Brasilien nach dem Fall Odebrecht wurden durch die Beteiligung der Betroffenen an den Bemühungen der Staatsanwaltschaft beschleunigt. Im Gegenzug für milde Maßnahmen (meist die Vermeidung schwerer Strafen) kooperierten die Angeklagten und ihre Komplizen mit der Staatsanwaltschaft, indem sie die Muster und die Funktionsweise der öffentlichen Korruptions- und Geldwäschenetzwerke offenlegten und die Daten der Bankkonten zur Verfügung stellten, auf die die Erlöse aus den Verbrechen geleitet wurden. Diese Vereinbarungen sind vertraulich. Ihr Inhalt darf von den Mitarbeitern nicht offengelegt werden, da sonst die Vereinbarungen ungültig werden. Auf dieser Grundlage haben die brasilianischen Behörden zahlreiche Rechtshilfeersuchen im Ausland (an die USA und verschiedene europäische Länder, darunter die Schweiz) gestellt. Die Bundesanwaltschaft weist regelmäßig darauf hin, dass Sequestrationsanordnungen für fast eine Milliarde Dollar an Schweizer Konten ausgestellt wurden. Ziel dieser (mittlerweile jahrelangen) Verfahren ist es letztlich, Einziehungen zugunsten des ersuchenden Staates anzuordnen, um die Vermögenswerte an die Geschädigten herauszugeben oder sie einzuziehen (vgl. Art. 74a IRSG). Einige Konten wurden in dem brasilianischen Hilfeersuchen an die Schweiz erwähnt. Viele andere wurden jedoch vom MPC als Ergebnis seiner eigenen Untersuchungen nach dem sogenannten Prinzip der potentiellen Nützlichkeit blockiert.


Die Vereinbarungen zwischen den Beschuldigten (die oft die wirtschaftlichen Eigentümer der gesperrten Konten in der Schweiz sind) und der brasilianischen Staatsanwaltschaft sind vertraulich, auch gegenüber ausländischen Behörden. Wenn die Kontoinhaber versuchen, die Aufhebung der Beschlagnahme in der Schweiz zu erwirken, mit dem Argument, dass die betreffenden Konten nicht unter das Kooperationsabkommen fallen (und dass Brasilien in der Folge auf jeden Anspruch auf die auf diesen Konten hinterlegten Vermögenswerte verzichtet hat), stoßen sie auf das Hindernis der Vertraulichkeit des Kooperationsabkommens, was bedeutet, dass keine der Vertragsparteien den ausländischen Behörden etwas übergeben kann. Dies führt zu einer verfahrenstechnischen Sackgasse: Die Inhaber der beschlagnahmten Konten können der Schweizer Vollstreckungsbehörde nicht die Dokumente vorlegen, die beweisen, dass die fraglichen Konten für die brasilianischen Behörden nicht von Interesse sind und die Beschlagnahme aufgehoben werden sollte. Die brasilianische Staatsanwaltschaft zögert, diese Dokumente vorzulegen, aus Angst vor ihrer Veröffentlichung.  Das Ergebnis ist, dass die MPC weiterhin in der Schweiz ermittelt und Konten einfriert, in Erwartung eines möglichen Ersuchens um brasilianische Hilfe – die euphemistisch langsam kommt.


In einer Beschwerde an den Bundesgerichtshof gegen einen Entscheid zur Beendigung des Rechtshilfeverfahrens mit Brasilien argumentierten die Inhaber der beschlagnahmten Konten, dass die Vereinbarung, die sie mit der brasilianischen Staatsanwaltschaft geschlossen hatten, diese Konten vom Anwendungsbereich der Rechtshilfe ausschloss. Zur Begründung beantragten sie, das Bundesstrafgericht möge im Rahmen der Ermittlungsmaßnahmen anordnen, dass das Bundesamt für Justiz (BJ) und/oder die MPC eine zwischen der MPC und den amerikanischen und brasilianischen Behörden geschlossene Vereinbarung vorlegen, die eine Rollenverteilung zwischen den Behörden der drei betroffenen Staaten bestätigt und die für die Schweizer Behörden verbindlich ist. Obwohl dieses sogenannte „Umbrella Agreement“ in Fachkreisen bekannt ist, entgegneten das BJ und die MPC dem Bundesstrafgericht, dass es ein solches Abkommen nicht gebe und dass es ein Hirngespinst der Beschwerdeführer sei. In diesem Fall hatten sich die Behörden der betroffenen Staaten allenfalls über die Durchführung ihrer Operationen geeinigt. Das Bundesstrafgericht hat in seinem Entscheid RR.2020.327 die Beschwerde mit der Begründung abgewiesen, dass die Beurteilung des BJ und der MPC nicht zu beanstanden sei. Für eine Behörde, die an die Maxime von Amts wegen gebunden ist (Art. 12 AP), ist das gelinde gesagt knapp.


Am Ende ist die Situation nicht ermutigend. Die Inhaber von in der Schweiz eingefrorenen Konten haben nichts von der MPC zu erhoffen, die die Sequestration nur dann aufhebt, wenn der ersuchende Staat das Amtshilfeersuchen ausdrücklich zurückzieht (was selten der Fall ist), auch wenn das Verfahren in Brasilien festgefahren ist. Ein Strafverfahren in der Schweiz, das zur Beschlagnahmung der Konten führen könnte, hat angesichts der geringen Kooperation der brasilianischen Behörden wenig Aussicht auf Erfolg.

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