Markenrecht und NFT: Was ist von Hermès v. Rotschild zu halten?

Am 14. Januar 2022 reichten Hermès International und Hermès of Paris, Inc. vor dem Southern District Court of New York (SDNY) eine Klage wegen Verletzung des Markenrechts und unlauteren Wettbewerbs gegen Mason Rotschild ein. Ein Jahr später (schon!), am 8. Februar 2023, beendete eine neunköpfige, vom SDNY ernannte Volksjury den Fall. Im Wesentlichen lauteten die Fakten wie folgt:


I. Die Fakten


Hermès vermarktet seit 1984 das Taschenmodell Birkin, das seither zu einer Ikone in dieser Welt geworden ist. Als Symbol für Luxus und Exklusivität wird jede Birkin-Tasche handwerklich hergestellt; die manuelle Fertigung dauert 18 Stunden. Die Birkin Bag gibt es in verschiedenen Ausführungen und wird einzeln für einen Einstiegspreis von ca. CHF 10’000.– verkauft. Bei einer von Sotheby’s veranstalteten Auktion im 2021 wurde ein Exemplar für USD 226.000 verkauft:



Zum Zeitpunkt der Eröffnung der Klage, die am 14. Januar 2022 vor dem Southern District Court of New York (SDNY) eingereicht wurde, war Hermès in den USA Inhaber der Wortmarke Birkin sowie einer so genannten „Trade Dress“-Marke (die man in der Schweiz als dreidimensional bezeichnen würde), die wie folgt dargestellt ist:



Es sei darauf hingewiesen, dass diese beiden Marken jedoch nur in Klasse 18 für Lederwaren eingetragen waren, nicht aber für Software und andere digitale Produkte in Klasse 9.


Der Beklagte, Mason Rotschild, hatte beschlossen, im Jahr 2021 unter der Adresse <metabirkins.com> ein von ihm als „Kunstprojekt“ bezeichnetes Projekt zu starten, nämlich den Verkauf von 100 „inspirierten“ digitalen Reproduktionen der Birkin-Tasche aus Kunstpelz, die als NFT unter Name Metabirkins zu einem Stückpreis von USD 450 vermarktet werden sollten:



Hermès machte vier Beschwerdepunkte zur Begründung seiner Klage geltend: Erstens, dass diese Vermarktung sowohl sein Recht an seiner Wortmarke als auch das Recht an seinem „trade dress“ verletze; zweitens, dass dies zu einer Verwässerung seiner Marke führe; drittens, dass die Registrierung des Domainnamens <metabirkins.com> einen Akt des Cybersquatting darstelle; und schließlich, dass dies zu einem Akt des unlauteren Wettbewerbs führe.


Nach verschiedenen verfahrensrechtlichen Irrungen und Wirrungen gewann Hermès in einer Entscheidung vom 8. Februar 2023 auf der ganzen Linie:




In diesem Fall ist nur die Klage unter dem Gesichtspunkt des Markenrechts relevant:


II. Die geltenden Kriterien


Im Wesentlichen argumentierte Rotschild, dass sein Projekt künstlerisch sei und dass sein Projekt nach dem ersten Verfassungszusatz (Meinungsfreiheit) keine Markenrechtsverletzung darstelle.


Die amerikanische Rechtsprechung, zumindest die des zweiten Bezirks, dem der Fall vorgelegt wurde, ist der Ansicht, dass die rechtliche Beurteilung der Verwendung der Marke eines Dritten im Rahmen eines Projekts, das als künstlerisch oder unter dem Schutz des ersten Verfassungszusatzes stehend dargestellt wird, anhand von zwei Präzedenzfällen erfolgen muss: Wenn das Projekt in erster Linie kommerziellen Zwecken dient, ist der sogenannte Gruner + Jahr-Test anzuwenden (Gruner + Jahr USA Publishing v. Meredith Corporation, 991 F.2d 1073 [1993]); wenn das Projekt hingegen trotz seines gewinnorientierten Charakters ein echtes künstlerisches Konzept beinhaltet, sollte der Rogers-Test (Rogers v. Grimaldi, 875 F.2d 994 [1989]) angewendet werden.


Während der Gruner + Jahr-Test in Wirklichkeit die klassische Verwechslungsprüfung einsetzt, wie sie 1961 im Fall Polaroid (Polaroid Corporation v. Polaroid Electronics Corporation, 287 F.2d 492 [1961]) (die mehr oder weniger der in der Schweiz in Art. 3 MSchG Kriterien entspricht), ergibt sich aus dem Rogers-Test, dass die Frage, ob eine Markenrechtsverletzung vorliegt, von drei Kriterien abhängt: Erstens ist zu fragen, ob das fragliche Werk einen künstlerischen Ausdruck widerspiegelt, der allein geeignet ist, den Schutz des ersten Verfassungszusatzes in Anspruch zu nehmen; zweitens ist zu fragen, ob die Benutzung der Drittmarke notwendig ist, um dem Werk diesen künstlerischen Wert zu verleihen; schließlich kann das betreffende Werk den Schutz der ersten Änderung nicht in Anspruch nehmen, wenn die Übernahme der fremden Marke Ausdruck eines Willens ist, sich diese Marke anzueignen, der bei dem betreffenden Publikum zu Verwechslungen hinsichtlich des Ursprungs des betreffenden Werks führen kann.


Während Hermes sich darauf berief, dass der Fall anhand des Gruner + Jahr-Tests entschieden werden müsse, war Rotschild im Gegensatz dazu der Ansicht, dass er anhand des Rogers-Tests entschieden werden müsse. Angesichts der vorgelegten Unterlagen und ungeachtet der diesbezüglichen Dementis von Hermès war der SDNY der Ansicht, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Projekt ursprünglich als künstlerisch wertvoll angesehen worden war.


III. Die rechtliche Analyse


In Anwendung des Rogers-Tests griff der SDNY die oben genannten Kriterien auf und kam zu folgendem Ergebnis:


  • Künstlerischer Wert: Der SDNY stellte zunächst fest, dass die feine Unterscheidung, die Hermès zwischen dem digitalen Bild der Birkin-Tasche einerseits und dem mit diesem Bild verbundenen NFT andererseits zu treffen suchte, nicht relevant sei. Es kommt allein auf den Standpunkt des Käufers an, der im Markenrecht entscheidend ist. Für den Käufer bilden die NFT und das mit ihr verbundene Image eine Einheit. Der SDNY betonte weiter, dass die von Rotschild vorgelegten Beweise darauf hindeuteten, dass Rotschild ungeachtet des gewinnorientierten Charakters des Projekts experimentieren wollte, ob das ikonische und luxuriöse Aussehen der Birkin-Tasche in eine rein digitale Form übertragen werden könne, wobei er zudem auf ironische Weise Kunstpelz als Verzierung verwendete, und dies zu einer Zeit, in der die großen Häuser der Branche behaupten, pelzfrei zu sein. Die SDNY kam zu dem Schluss, dass dem Projekt ein gewisser künstlerischer Wert zuerkannt werden müsse.
  • Unterschwellige Bedeutung der Verwendung der Marke. In Anlehnung an seine Beurteilung im Fall Louis Vuitton Maillefer SA v. Warner Bros. Ent. Inc. (868 F. Supp. 2d 172 [2012]) wies der SDNY darauf hin, dass dieses zweite Kriterium leicht erfüllt ist und nur dann ausgeschlossen werden kann, wenn die Verwendung der fremden Marke nicht von Bedeutung ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die Verwendung der Marke nicht nur ein Vorwand ist, um den Ruf und den Goodwill, der mit der Marke verbunden ist, auszunutzen. Dieser Punkt scheint sich weitgehend mit dem letzten Punkt zu überschneiden:
  • Aneignung der fremden Marke. Die Frage ist hier, ob nach den Kriterien, die seit dem amerikanischen Fall im Case Law verankert sind, eine offensichtliche Verwechslungsgefahr zwischen der Marke und dem Werk besteht, auf das sich der Beklagte beruft. Im vorliegenden Fall hatte Hermès eine Marktstudie vorgelegt, die eine Verwechslungsgefahr von 18,7 % bei den potenziellen Käufern von NFT belegte, sowie verschiedene Verwechslungen, die im Rahmen von Online-Diskussionen in sozialen Netzwerken aufgetreten waren.


Da Richter Rokoff der Ansicht war, dass kein „summary judgment“ zugunsten einer der beiden Parteien ausgesprochen werden könne, war es Aufgabe der von Hermès ersuchten Jury, ein Urteil zu fällen. Nach einer Woche Verhandlung entschieden die neun Jurymitglieder, dass Rotschild sich nicht auf den Schutz des ersten Verfassungszusatzes berufen könne und dass die Anwendung des Rogers-Tests, insbesondere seines dritten Kriteriums, zu einer Verletzung des Markenrechts führe.


IV. Kommentar


Das Urteil ist in mehrfacher Hinsicht interessant:


  • Schnelligkeit. Zwischen der Einreichung des Antrags am 14. Januar 2022 und der Entscheidung der Volksjury am 8. Februar 2023 verging kaum mehr als ein Jahr, obwohl ein Zusatzantrag am 2. März 2022 eingereicht wurde und es zu verfahrensrechtlichen Zwischenfällen in Bezug auf das mögliche „summary judgment“ kam, das jede Partei für sich beanspruchte, ohne es zu erreichen (siehe insbesondere die Vorabentscheidungen vom 3. September 2022 bzw. 2. Februar 2023; eine vollständige Übersicht finden Sie hier).


Die Schnelligkeit, die der SDNY in einem Fall an den Tag legte, der zahlreiche neue Herausforderungen mit sich brachte, kann Schweizer Kläger nur beneiden. Sie zeugt von einem Verständnis der amerikanischen Gerichte für die Bedürfnisse des Marktes, daß man nur beneiden kann.


  • Extraterritorialer Charakter. Der SDNY stellt nicht in Frage, ob seine gerichtliche Anordnung extraterritorial ist, auch wenn sie letztlich weltweit gilt. Ich persönlich habe mich immer für die extraterritoriale Geltung solcher Anordnungen ausgesprochen, es sei denn, es wäre unmöglich und aussichtslos, gegen die Verletzung exklusiver Rechte im Internet gerichtlich vorzugehen, doch der SDNY scheint diese mögliche Problematik nicht erkannt zu haben.
  • Gültigkeit der als „trade dress“ eingetragenen Marke. Der Beklagte scheint die Gültigkeit des von Hermès eingetragenen „trade dress“ im Zusammenhang mit dem Taschenmodell Birkin nicht angegriffen zu haben, obwohl dessen Qualität meines Erachtens stark zu diskutieren ist. Die Gültigkeit der Wortmarke stand außer Frage und hätte in Verbindung mit der Verwässerungsklage und der Klage wegen unlauteren Wettbewerbs wahrscheinlich ausgereicht, um Hermès zu einem Erfolg zu verhelfen, doch die Gültigkeit des „trade dress“ erscheint angesichts der schlechten Qualität seiner Eintragung mehr als zweifelhaft.
  • Eine Meinungsumfrage. Die Verwechslungsgefahr von 18,7% mag auf den ersten Blick niedrig erscheinen für einen Schweizer, der es gewohnt ist, sich der 50%-Marke anzunähern, um ein Gericht zu überzeugen (mit der bekannten Ausnahme der Kläger des Vogue-Urteils, wo eine Quote von 25% vom Bundesgericht als ausreichend erachtet wurde, um den hohen Bekanntheitsgrad der Marke Vogue in Bezug auf das gleichnamige Magazin nachzuweisen, 4A_128/2012). Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die Schweiz nur eine Fläche von 41’000 km2 hat, während die USA 9’600’000 km2 groß sind. Nun ist die erwartete Rate umso niedriger, je größer das Land ist, so dass eine Rate von fast 19% in einem so großen Land wie den USA letztlich als besonders wichtig angesehen werden konnte (in diesem Sinne auch: Empresa Cubana del Tabaco v. Culbro Corp., 70 USPQ.2d 1650 [SDNY 2004], rev’d on other grounds, 399 F.3d 462 [2d Cir. 2005]).
  • 12ème Ausgabe der Nizzaer Klassifikation und NFT: eine falsche gute Idee? Die 12ème Ausgabe der Nizzaer Klassifikation, die am 1er Januar 2023 in Kraft trat, sieht zwar ausdrücklich die Möglichkeit vor, Marken für virtuelle Produkte einzutragen (die jedoch angeben müssen, als was sie eingetragen werden sollen, da sie sonst zurückgewiesen werden, z. B. „herunterladbare virtuelle Produkte, nämlich virtuelle Taschen“) und NFTs (letztere jedoch als „herunterladbare digitale Dateien, die durch nicht fungible Token authentifiziert werden„) in Klasse 9, und spiegelt damit eine Praxis wider, die sich bereits abzuzeichnen begonnen hatte und vom EUIPO bestätigt wurde.


Zwar nahm Hermès interessanterweise ebenfalls eine solche Eintragung vor dem USPTO in Klasse 9 vor, als der Fall noch anhängig war, doch hinderte das Fehlen einer solchen Eintragung Hermès nicht daran, zu triumphieren, obwohl sie nur über eingetragene Marken in Klasse 18 verfügte.


Zugegebenermaßen hat der SDNY die Frage, ob eine Eintragung in Klasse 18 auch eine NFT-Nutzung abdecken kann, nicht sehr gründlich untersucht, da diese Frage in USA etwas anders gelagert ist, als es der Schweizer Jurist unter Art. 3 MSchG gewohnt ist.


Nichtsdestotrotz beantwortet der SDNY diese Frage implizit positiv. Die Käuferin einer Birkin-Tasche tut dies nicht, weil sie etwas darin verstauen kann. Sie kauft sie wegen des Ansehens und der Zugehörigkeit zu einer exklusiven Gemeinschaft, die ihr das Äußere der Tasche verleiht.


Mit anderen Worten: Es geht also nicht so sehr darum, dass die Eigenschaften einer Tasche (laut Robert definiert als „ein flexibler Gegenstand, der hergestellt wird, um als Behälter zu dienen, in dem man verschiedene Dinge aufbewahren und transportieren kann“) nicht von einem digitalen Bild dieser Tasche erfüllt werden können und dass sie als solches nicht als einer „Tasche“ im Sinne der oben genannten Definition ähnlich angesehen werden kann.


In Wirklichkeit ist es nur wichtig, dass das Zielpublikum die Metabirkin-Tasche als Birkin-Tasche wahrnimmt; es geht nicht um die Eigenschaften der Tasche, sondern darum, wie sie aussieht und was sie über ihren Träger aussagt. Die Metabirkin-Tasche wird dann als die digitale Umsetzung der Birkin-Tasche wahrgenommen.


Daher reicht es meiner Meinung nach, und wie es der SDNY zumindest implizit und meiner Meinung nach zu Recht annimmt, aus, dass das Zielpublikum (dessen Sichtweise entscheidend ist) im digitalen Produkt ein Äquivalent zum greifbaren Produkt sieht, damit die Ähnlichkeit, die das Gesetz für die Annahme einer Markenverletzung verlangt, gegeben ist. Eine Eintragung in Klasse 9 wäre dann unnötig. Man muss jedoch zugeben, dass die Praxis diesen Weg leider nicht beschritten hat. Dies kann nur bedauert werden.


  • Geistiges Eigentum und freie Meinungsäußerung. Wirkönnen jedoch davon ausgehen, dass die heikle Frage der Beziehungen zwischen dem geistigen Eigentum und dem Kunstbereich noch nicht abgeschlossen ist. Die Berufung, die Mason Rotschild bereits angekündigt hat, wird es ihm sicherlich ermöglichen, aus dem bevorstehenden Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. v. Goldsmith und seiner Auslegung des Fair Use (siehe für das angefochtene Urteil: 11 F.4th 26 [2d. Cir. 2021]), sowie ein zweites in diesem Jahr erwartetes Urteil des Supreme Court zur Auslegung des ersten Verfassungszusatzes als Verteidigungsargument in einem wegen Markenrechtsverletzung angestrengten Fall, wiederum ohne den Blickwinkel des Rogers-Tests, nämlich Jack Daniel’s Properties Inc. v. VIP Products LLC.


Der Kampf zwischen Schöpfern und Markeninhabern ist also noch nicht vorbei. Jeder wird wahrscheinlich zustimmen, dass die Freiheit der Kunst dort endet, wo das Exklusivrecht verletzt wird, aber die heikle Frage ist, ab wann dieses Recht als verletzt gilt, ohne dass die Meinungsfreiheit, die Künstlern gewährt werden muss, ausgehöhlt wird. Hermès hat zwar die erste Schlacht gewonnen, aber noch nicht den endgültigen Sieg errungen. Fortsetzung folgt.

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